Fährte und Spur

Fährten und Spuren

Es war die bisher kälteste Nacht. Als Lukas mich in der Frühe abholte stand das Thermometer bei minus 9 Grad Celsius. Jedoch sind wir erfahrene Naturbeobachter und für viele Wetterzustände bestens gerüstet. Zudem versprach der Tag wieder ein Abenteuer zu werden, denn wir waren erneut zur Schröcker Drückjagd eingeladen. Mittlerweile sind wir bei den Jägern bekannt, es gab auf beiden Seiten keine Berührungsängste mehr, dennoch waren wir neugierig aufgeregt, weil niemand wusste, was wir erleben würden. Im Hinterkopf hatten wir die Meldungen aus der Presse über die Aktivisten, die im vergangen Jahr durch ihr unkorrektes Verhalten Drückjagden störten und zur Aufgabe brachten. Dies wurde auch zu Beginn der Jagd angesprochen und alle Teilnehmer informiert sich nicht provozieren zu lassen und alle Sicherheitsbestimmungen einzuhalten. Heute gab es keine solchen Zwischenfälle, keine Unfälle, alles lief nach Plan.

Beim Ablauf der Jagd sind mir einige Dinge und einige Teilnehmer besonders aufgefallen. Es herrscht innerhalb dieser Gesellschaft eine schöne Stimmung. Ob Jagdherr, Jäger, Treiber, Helfer oder die Jägerfrauen, die guten Seelen, die im Hintergrund das Vesper, den Kuchen, den Kaffee vorbereiteten und reichten, alle ziehen sie am selben Strang. Es ist alles aufeinander abgestimmt.

Jäger und Treiber wurden in Gruppen eingeteilt und im Revier verteilt und positioniert. Wir Gäste bekamen je eine Kanzel zugeteilt, von der aus wir das Gelände beobachten konnten. Vor mir lag ein riesiger Schilfgürtel mit über mannshohen Halmen, der von den Treibern begangen wurde. Sehen konnte man sie nicht, nur in der Bewegung des Schilfes erkannte man diese Gruppe. Dabei ist mir Edwin aufgefallen. Als erfahrener Jäger führte er diese Gruppe an. Über Rufkommandos hielt er Kontakt zu jedem einzelnen in seiner Gruppe und dirigierte oder gebot Halt, dass alle aufschließen konnten. Nie den Überblick verlieren auch bei geringer Sicht. Aufeinander aufpassen. So funktioniert das. Beeindruckend.

Es ist auch jedes Mal ein Gewinn, wenn man sich kurz mit Hajo unterhält. In knappen Worten erzählt er sehr verständlich über Wildbiologie, Sozialverhalten der Sauen unter Jagddruck und anderes. Er hat während der Jagd eine Schnepfe gesehen. Eigentlich ein Zugvogel. Aber die ist bei uns geblieben. Als Standschnepfe ein Bote der Klimaerwärmung. Hajo ist beliebt. Das sieht man daran, dass sich die Jungjäger um ihn scharen, die er ausbildet. Er hat diese ansteckende Leidenschaft, mit der er sein Wissen weiter gibt. So wünscht man sich eine Jadgausbildung.

Unsere Jäger scheuen die Öffentlichkeit nicht. Bei dieser Jagd war auch eine Gemeinderätin dabei, die als Treiberin eingesetzt wurde. Auch sie war beeindruckt von der guten Organisation und dem guten Verlauf der Jagd. Wer sich unvoreingenommen einem Thema nähert, geht mit neuen Erkenntnissen und Gewinn nach Hause. Wichtig war auch, dass die Jägerschaft beim öffentlichen Waldbegang der Gemeinde im vergangenen Jahr vom verantwortlichen Forstleiter für ihre Arbeit im Wald gewürdigt wurde. So ist zum Beispiel die Jagd im neu gepflanzten Jubiläumswald ein wesentlicher Beitrag für den Erfolg dieses Wäldchens. So mancher Zweifler in der Gruppe bekam neue Sichtweisen. Heute war auch unser heimischer Filmemacher zugegen, der am Ende des Tages in einem Film seine Sichtweise zur Drückjagd des vergangenen Jahres zeigte.

Es wurde geschossen. Es fielen viele Schüsse. Am Ende waren es 30 Sauen, 34 Rehe, 2 Füchse und 6 Nutria. Das ist eine enorme Strecke nur auf der Schröcker Gemarkung und lässt staunen. Zum Glück haben die Sauen den benachbarten Sportplatz des FV Leopoldshafen noch nicht entdeckt. Und dennoch sind viele Tiere entkommen. Beim zweiten Ansitz am Nachmittag kamen Zeit versetzt drei Sauen aus dem Dickicht gerannt. Die erste nahm ich zur Kenntnis, ebenso wie die Jägerin zu meiner Linken. Das ging so schnell, dass man nicht reagieren konnte. Bei der zweiten Sau fiel ein Schuss aber auch die war zu schnell. Immerhin konnte ich sie mit der Kamera einfangen. Die dritte Sau lief ebenfalls durch. Dann besuchte mich ein Zaunkönig auf der Kanzel. Mein erster Gedanke war, falsches Objektiv! Der kleine Kerl blieb einige Momente und ich genoss den Augenblick. Später flog ein Habicht mit einer Amsel im Fang über die Kanzel und verschwand in den Baumkronen. Das sind Momente, die man nicht vergisst.

Aufschlussreich ist auch wie das Wild verwertet wird. Leben in Freiheit, Jagd, Schuss, kurzes Sterben (oder entkommen), zerteilen und verwerten des Wildes am Jagdtag. Man sieht, was man bekommt. Das ist eine geschlossene Kette, die die meisten von uns gar nicht mehr kennen. Viele kaufen Wurst und Fleischwaren beim Discounter zum Sonderpreis und wissen nicht Bescheid, dass das mit  Massentierhaltung und Gülle Problemen erkauft wird oder wollen es nicht wissen.

Jagd ist mehr als schießen. Jagd ist Kultur, ist Hege, ist Leidenschaft und Abenteuer. Das Wäldchen aus dem die Sauen kamen ist ein bedeutender Standort des Weißen Waldvögeleins, eine seltene heimische Orchidee. Weiter hinten gibt es eine Wildwiese, die im blühenden Zustand zahlreiche Insekten anlockt. Angelegt von den Jägern. Vielfalt im Wald.

Fährten und Spuren? Da gibt es einen Unterschied. Von Fährten spricht man beim Hochwild und von Spuren beim Niederwild. Und was ist der Unterschied zwischen Hoch- und Niederwild? Neugierig geworden? Dann mal einen Jäger fragen oder auf die Homepage der Jägervereinigung gehen und stöbern. Da findet man hoch interessante Themen. Über den Tellerrand zu schauen hat noch niemandem geschadet.

Lukas und Ralf Schreck – Naturfreunde

 

 

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