Anonym – oder das Mädchen aus der Fremde

Anonym oder das Mädchen aus der Fremde

Neues aus der Heimat. Für Jan.

Die großen blauen Zedern leiden unter der enormen Hitze. 35 Grad und mehr zeigen ihre Wirkung. Das Nadelkleid wird schütter. Hoffentlich gibt es bald Regen. Im Eingangsbereich leuchtet unerwartet ein roter Kübel mit Sommerstaudenbepflanzung. Der hatte seinen großen Einsatz beim Straßenfest und begrüßt nun die Friedhofsgänger. Eine schöne Geste der Gemeinde. Im Schaukasten liest man den Namen eines Verstorbenen. Jedoch, er soll anonymisiert werden. Im Feld der Namenlosen ist bereits die Urnenstelle ausgehoben.

Es ist in diesem anonymen Feld auch möglich eine Sargbestattung zu wählen. Dabei ist dieses Feld so klein, dass es dort eine absolute Anonymität nicht geben kann. Das ist vielleicht auch besser so, denn ganz vergessen will wohl auch niemand werden. Man kann das auch an den abgestellten Gaben erkennen. Also, das anonyme Feld ist bei der steinernen Figur. Die mit der kaputten Nase. Von der Ferne sieht es aus, als würde sie weinen. Es ist ein schöner Ort und ich bin gerne dort. Beim Betrachten der Figur denke ich an das Gedicht „Das Mädchen aus der Fremde“ von Friedrich Schiller. Sie hält eine Rose in der Hand, welche sie gleich verschenken wird … Beim nächsten Besuch komme ich mit Doris.

In einem Tal bei armen Hirten

Erschien mit jedem jungen Jahr,

Sobald die ersten Lerchen schwirrten,

Ein Mädchen, schön und wunderbar.

Sie war nicht in dem Tal geboren,

Man wußte nicht, woher sie kam,

Doch schnell war ihre Spur verloren,

Sobald das Mädchen Abschied nahm.

Beseligend war ihre Nähe

Und alle Herzen wurden weit;

Doch eine Würde, eine Höhe

Entfernte die Vertraulichkeit.

Sie brachte Blumen mit und Früchte,

Gereift auf einer andern Flur,

In einem andern Sonnenlichte,

In einer glücklichern Natur,

Und teilte jedem eine Gabe,

Dem Früchte, jenem Blumen aus;

Der Jüngling und der Greis am Stabe,

Ein jeder ging beschenkt nach Haus.

Willkommen waren alle Gäste,

Doch nahte sich ein liebend Paar,

Dem reichte sie der Gaben beste,

Der Blumen allerschönste dar.

 

 

Ralf Schreck – der nicht namenlos enden möchte

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