Unser Baum

Heimat Hardtwald

Unser Baum

Bis zum samstäglichen Familientreffen waren noch zwei Stunden Zeit, also beschloss ich wieder einmal in den Hardtwald zu radeln. Der frühherbstliche Wald mit seinen Gerüchen und einzigartigen Farben ist ein lohnendes Ziel. Und doch wurde es mehr als nur ein Zeitvertreib. Sobald mich die ersten Bäume umgeben verlieren sich die Gedanken im Grün. Der Alltag und seine Hektik und all die Sorgen sind wie verschwunden. Herbstlaub rieselt, die stachelig behüllten Esskastanien fallen zu Boden, Pilze sprießen auf einem Baumstumpf. Eine kleine Idylle am Wegesrand. Beim nächsten Halt fand ich mich beim Absturzbauwerk des Pfinzentlastungskanals an der Grabener Allee wieder. Bei der Bank bückte ich mich automatisch und hob eine Handvoll Kastanien auf. Und plötzlich waren sie wieder da. Die Erinnerungen an die Kindheit. Unser Papa machte mit Thomas und mir regelmäßig Spaziergänge hierher. Dieser Ort war uns vertraut. Und die Kastanien, die Bäume und Blumen und die Tiere. Die Forsthütte nannten wir Kinder „Zwergenhäuschen“. Papa war streng und wir mussten unter seinen Jähzorn Ausbrüchen leiden aber diese Spaziergänge bleiben unvergessen. Manchmal gingen wir weiter zum Monumenthaus in der Nähe und zu „unserem Baum“. Das war eine mächtige Rotbuche, die etwas versteckt abseits des Waldweges stand. Bei jedem Besuch unseres Baumes holte Papa sein Taschenmesser heraus und schnitzte einen Buchstaben unseres Vornamens in die Rinde. Thomas, der Ältere, bekam zuerst seinen Namen verewigt, danach kam ich dran. Wir waren stolz darauf. In der Zwischenzeit war unsere kleine Schwester alt genug, um mit laufen zu können. Und sie bekam ebenfalls ihr Namensdenkmal. Das fand ich besonders beeindruckend, denn Christiane hatte viele Buchstaben und ich war gespannt, wie der fertige Name einmal aussehen würde.

Das Monumenthaus gibt es noch, auch wenn es heute anders aussieht. 1973 ist es abgebrannt und wurde dann als offene Hütte wieder aufgebaut. Das Monument aus Stein steht noch, die Schwengelpumpe ist still gelegt. In den 1960er Jahren haben wir dort noch gepumpt. Ob es „unseren“ Baum noch gibt weiß ich nicht. Ich habe auch nicht mehr nach ihm gesucht. Ein Grund mehr wieder zu kommen.

Mama war selten bei diesen Spaziergängen dabei. Vielleicht war sie auch froh, dass sie uns Lausbuben für ein paar Stunden los war …

Ralf Schreck – Baumfreund

 

 

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