Eigentlich wollte ich radeln, aber mein Doc meinte, dass ich nach dem etwas größer ausgefallenem chirurgischen Eingriff das Rad ein paar Tage stehen lassen solle. Gesagt, gelaufen.
Beim ehemaligen Bahnhof Leopoldshafen bog ich auf den Feldweg Richtung Linkenheim. Gerade ging die Sonne auf und schob sich über das reife Getreidefeld. Der Wetterbericht prophezeite einen heißen Sommertag, deshalb ging ich zeitig in der Frühe raus. Auf der Fenchelblüte im Gründungfeld entdeckte ich einen schlafenden Bienenkäfer. Wo er vorkommt gibt es solitär lebende Wildbienen, die seine Larven parasitieren. Der Käfer frisst Pollen, jagt jedoch auch andere Insekten.
Mein erstes Ziel war jedoch das Feld mit der artenreichen Flora rechts der Straßenbahnlinie zwischen Leopoldshafen und Linkenheim. Es ist ein trockener Standort mit Natternkopf, Mohn, wilden Karden, Johanniskraut, Nacht- und Königskerzen, Rainfarn, Fenchel, Bocksbart, Sauerampfer, Labkraut und vielem mehr. Die Blütenpflanzen überwiegen, es gibt wenige Gräser.
Dieser Artenreichtum lässt auf eine vielfältige Insektenwelt schließen. Und diese gibt es dort auch. Allerdings findet man hauptsächlich „Allerweltsarten“, und diese in geringen Anzahlen. Dieses Feld könnte mehr hergeben. Gewiss, meine Betrachtungen sind subjektiv und ich erfasse meine Beobachtungen nur vom Feldrand, weil ich nicht hineinlaufen möchten, um zerstörerische Spuren zu hinterlassen. Meine Beobachtungen sind lediglich Momentaufnahmen. Doch ich habe ein geübtes Auge und erkenne viele Pflanzen und Tiere auch im Vorbeigehen.
Der Anblick dieses Wiesenfeldes beruhigt mein Gemüt. Es ist die Farbkomposition, die die Natur mir hier anbietet. Es überwiegen helle Farbtöne. Gelb in den unterschiedlichsten Nuancen, gemischt mit Braun und Grau. Dazwischen das filigrane Blau und Rot der Natternköpfe und wilden Karden.
Auf einer solchen entdecke ich den nächsten Schläfer. Eine Hummel, die die Nacht auf der Blüte verbracht hat. Eine gute Gelegenheit mit der Nahlinse zu photographieren. Als ich jedoch die unsichtbare Persönlichkeitsgrenze der Hummelin überschreite, wird sie wach, dreht sich mir entgegen, und streckt zwei Beine aus. Das Präsentieren des stachelbewehrten Hinterns bedeutet, „hau ab, sonst gibt es Senge“.
Honigbienen sind allgegenwärtig und gehen ihrer Arbeit nach. Die Nachtkerzen werden umschwärmt, die Sammelhöschen sind bereits dicht gefüllt. Auf den Blütenständen des Rainfarns entdecke ich deren Verwandte. Ameisen laben sich am süßen Nektar. Beide, Bienen und Ameisen gehören zur Gruppe der Hautflügler. Während Bienen ständige Flieger sind, tun dies bei den Ameisen nur deren Königinnen und Drohnen während des Hochzeitsfluges.
Und plötzlich entdecke ich den ersten Gaukler! Ein kleiner Feuerfalter tanzt von Pflanze zu Pflanze. Er besucht die Sauerampfer, an denen er seine Eier ablegt. Es sind die Futterpflanzen für seine Raupen. Er sieht schon ziemlich „abgewetzt“ aus. Die meisten Gaukler tanzen eben nur einen Sommer.
Bevor ich in der Nähe des Adam Lang Denkmals die Gleise der Straßenbahn und die Landstraße Richtung Wald überquere, entdecke ich noch eine Gemeine Feldschwebfliege an einer Nachtkerzenblüte.
Kaum im Wald, begrüßt mich ein Waldbrettspiel. Es ist ein typischer Waldfalter. Mit seiner schönen unaufgeregten Zeichnung ist er in den Baumkronen gut getarnt. Wir können uns glücklich schätzen in einer so abwechslungsreichen Heimat zu leben. Hier Wiesen, Äcker und Felder, da Wälder. Im Hochgestade den Hardtwald und unten im Tiefgestade den vielgestaltigeren Auenwald. Wie froh sind wir, wenn wir an den aktuell heißen Sommertagen kühlenden Schatten unter Eichen, Erlen und Weiden finden. Unsere Rheinwälder sind von Dämmen durchzogen, die wiederum einen Lebensraum zahlreicher Wiesenpflanzen und deren Besucher bieten.
An der Gemarkungsgrenze gibt es bei Linkenheim Reste eines Erlenbruchwaldes mit seiner einzigartigen Vegetation. Gegenüber, auf Schröcker Seite entdecken wir das versteckte Schluttenloch. Blutweiderich und Goldfelberich säumen das Ufer. Am Damm erkennen wir Wiesenknöpfe und Arnika. Schenkel- und Soldatenkäfer finden sich an der Schwalbenwurz. Am geschotterten Feldweg entdecke ich zwei Balkenschröter, Verwandte des Hirschkäfers. Sie sind offensichtlich auf dem Weg nach Hause, zum nächsten Totholz.
Ich wandere auf der Dammkrone und biege in der Kurve ab Richtung Wald und Schröcker Schließe. Auf der Streuobstwiese am Rheinniederungskanal begrüßt mich das Flöten des Loriots. Nachdem ich sein Flöten erwidere, zeigt er sich kurz und leuchtet mir mit seinem gelben Gefieder entgegen.
Die Wiese wurde gemäht, das Gras bereits gewendet und im sogenannten Schwad abgelegt. An der großen Zahl der abgestorbenen Bäume kann man die über Jahre vernachlässigte Pflege dieser Obstanlage sehen. Daran kann man erkennen, welchen Stellenwert die Streuobstpflege in unserer Gemeinde hat. Auf der Prioritätenliste der anzupackenden Themen unserer Gemeinde steht ökologische Handlungsweise auf unseren inner- und außerörtlichen Grünflächen nicht sehr weit oben. Diese Tatsache wurde in den beiden Sitzungen der Verantwortlichen des Rathauses mit den Mitgliedern der Agenda Gruppe Umwelt deutlich. Dabei sind die Grundlagen, bzw. die Voraussetzungen hierfür bereits festgeschrieben. Im sogenannten Grünpflegehandbuch der Gemeinde, sowie in den Empfehlungen des von der Gemeinde finanzierten Gutachtens des Botanikers, sind die entsprechenden Maßnahmen zu lesen.
Ideen und Verbesserungsvorschläge sind von allen Seiten zu hören. Nur die Umsetzung bleibt oftmals auf der Strecke. Es fehlt an Personal, es wird zu wenig Zeit für wichtige Maßnahmen zur Verfügung gestellt. Es gibt andere Aufgaben, die als wichtiger betrachtet werden, sind die Argumente, die wir zu hören bekommen. Es fehlt am grundsätzlichen Willen notwendige ökologische Themen nicht nur anzupacken, sondern auch umzusetzen. Dass es anderswo besser geht zeigte mein Besuch bei der Bundeswehrkaserne am Eichelberg bei Bruchsal. Dort gibt es für die Umsetzung der Grünpflege eine Ökologin, die die Vorgaben plant, die Umsetzung vorgibt und die Umsetzung überwacht. Also jemand, der sich ausschließlich mit einem Bereich beschäftigt.
Ich möchte niemandem Vorwürfe machen. Jeder erledigt seine Arbeiten nach bestem Wissen und Gewissen. Es ist jedoch im menschengemachten Zeitalter von Klimakrise und Artenschwund nicht mehr zeitgemäß ökologische Themen auf die lange Bank zu schieben. Seit Jahren bringt sich unsere Agenda Gruppe Umwelt mit Vorschlägen und Ideen ein. Der daraus resultierende Erfolg ist eher mäßig. Man hätte viel mehr erreichen können.
Einen Erfolg der AGU`ler sieht man auf der Wörth Wiese. Die zahlreichen abgestorbenen Obstbäume wurden durch unsere Intervention belassen, weil sie als Totholz wertvollen Lebensraum für zahlreiche Tierarten bieten. So entdeckte ich am Ende der Wiese auch wieder einen Hornissenbaum. In einer Baumhöhle fand die Königin einen Platz zur Nestgründung.
Beim Rückweg entdeckte ich entlang der frisch asphaltierten Zufahrtsstraße zum Kompostplatz einen Pulk Wegwarten. Im Nu kam die Wegwarten Hosenbiene angeflogen und sammelte flugs Nektar und Pollen. Sie flog so schnell von Blüte zu Blüte, dass ich Mühe hatte mit der Kamera zu folgen. Da war es wesentlicher einfacher den Grünspecht beim Ameisen fangen zu beobachten.
Zweieinhalb Stunden war ich zu Fuß unterwegs. Hättet ihr auf dieser Strecke vergleichbare Beobachtungen gemacht? Oder seid ihr „nur“ spaziert und habt diesen Morgen genossen und seid mit einem glücklichen Lächeln nach Hause gegangen? Beides ist gut und wichtig. Denn wir alle wollen vielfältige und intakte Landschaften genießen. Gemäß unserem Gemeindemotto „Wohlfühlen in Vielfalt.“
Umsonst bekommen wir jedoch heute nichts mehr.
Ralf Schreck – der mit der Natur spricht