Dieses Jahr ist kein Wespenjahr. Der April, im welchem die verschiedenen Wespen Königinnen aus der Überwinterung kommen, war zu kalt. Dies hemmt die Entwicklung der Wespenbrut einerseits, sowie die Brut der potentiellen Beute, andererseits. Aus diesem Grund gibt es dieses Jahr sehr viel weniger Nester und diese in geringen Volkstärken.
Was macht eigentlich ein Hornissenberater?
Hornissen stehen unter besonderem Schutz. Sowohl die Tiere, als auch das Nest selbst dürfen nicht ohne vernünftigen Grund beeinträchtigt werden. Durch ihre Größe und auffällige Zeichnung haben wir Menschen Respekt vor ihnen. Werden Hornissen entdeckt, dann erschrecken sich die meisten und sind zunächst ratlos. Dann folgt der Griff zum Telefon und Feuerwehr und Rathaus, bzw. das Landratsamt werden informiert und die vermitteln dann den Kontakt zu einem Hornissen und Wespenberater. Die meisten machen das im Ehrenamt, so wie ich. Um ein solches Amt auszufüllen bedarf es eines Lehrgangs und in Baden-Württemberg eine Bestellung zum Hornissenberater. Im Seminar lernt man die grundsätzlichen Dinge zu Wespen und Hornissen, im realen Leben als Naturfreund, den wichtigen und notwendigen Rest. Auch lernt man, dass alle Betroffenen unter einer schweren Allergie leiden und Kinder und Enkel in der Nähe sind. Über die Fruchtbarkeit der Betroffenen wage ich nicht zu urteilen. Aber die allermeisten Allergien sind vorgeschoben, denn in meiner langjährigen Tätigkeit hatte ich nur einen einzigen Fall, in welchem es eine bestätigte Allergie gab. Das hierfür erforderliche Notfallset wurde mir gezeigt.
Dann kam der Anruf eines Betroffenen. Beim Versuch einen maroden Ast eines Flieders abzusägen, wurde er mehrfach von Hornissen gestochen. Diese hatten sich im April in einem Schwegler Vogelkasten, der im Flieder hing, angesiedelt. Jetzt war es August und das Nest wurde erst jetzt entdeckt. Das Einflugloch ging nach hinten zum Nachbargrundstück und war deshalb nicht einsehbar. Die Nestgründung erfolgte alleine durch eine Königin, die im April aus der Überwinterung kam. Die ersten Wochen arbeitet sie alleine, bis genügend Arbeiterinnen geschlüpft sind. Jetzt drohte der Vogelkasten abzustürzen.
Die Vorgehensweise vor Ort ist eine Sache der Abwägung. Menschen- und Hornissenschutz sind unter einen Hut zu bringen. Häufig bieten sich Umlenkungs- und Absperrmaßnahmen an. Sind diese nicht möglich, plant man eine Umsiedlung von Nest samt Volk. In diesem Falle war eine Umhängung des Kastens vor Ort nicht möglich, da es keinen Baum mit Stammanbringung gab. Wir entschlossen uns den Kasten umzusiedeln. Zunächst folgt eine Bilderserie der Aktion, danach ein kurzes Video.
Das wichtigste ist ein ruhiges und besonnenes Vorgehen, sowie die Einhaltung der Eigensicherung. Die Hornissen werden mithilfe der Saugleistung eines Staubsaugers in eine spezielle Abfangbox befördert. Sie landen weich, denn der Innenraum ist gepolstert. Wir vermerkten keine Todesfälle. Es gelang uns die meisten der Flugtiere einzusaugen. Die Königin blieb dabei im Nest, auch einige Arbeiterinnen und die komplette Brut. Kasten und Box verbrachten wir in unseren Garten in einen zuvor vorbereiten großen Hornissenkasten. Das neue Domizil wurde angenommen, das Nest konnte gesichert werden.
Diese Umsiedlungsaktion beim Flieder dauerte etwa eine Stunde.
Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Das Volk wird sich weiter entwickeln. Seine Bestimmung ist die Erhaltung der Art. Jetzt Ende August werden Großzellen angelegt, in welchen die Geschlechtstiere, die Jungköniginnen und Drohnen heranreifen. Ab sofort werden auch keine Umsiedlungen gemacht, weil sich solche Eingriffe jetzt nachteilig für den Fortbestand auswirken.
Der Erhalt dieses Volkes hat weitreichende Folgen. Hornissen sind ein wesentlicher Bestandteil des Netzes der Natur. Ein System, welches sich ohne die Menschen am besten trägt. Allzu oft vergessen wir, dass wir eigentlich auch dazu gehören. Der Biodiversitätsverlust ist Menschen gemacht. Das wissen wir, aber ich gehöre nicht zu denen, die das nur zur Kenntnis nehmen. Als Naturschützer erlebt man viele Enttäuschungen und es bedarf einer großen Frustrationstoleranz, um nicht aufzugeben. Zwischendurch erlebe ich sehr aufbauende Zustimmung. So hat mich Barbara mit Johanna Romberg zusammen gebracht. Das heißt, sie hat mir ihr Buch “Der Braune Bär fliegt erst nach Mitternacht” geschenkt. Darin beschreibt sie verschiedene Projekte von Naturschützern. All die Leidenschaften, Erfolge und Mißerfolge der beteiligten Menschen beschreibt sie in einer sehr schönen Art und Weise. Darin finde ich mich wieder. Aufgeben ist keine Option, schreibt sie. Es kommt auf die Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns an, unabhängig des zu erwartenden Erfolges. Ebenfalls ein “Muss” für alle, denen unsere Umwelt nicht egal ist, ist das Buch “Das Sterben der anderen” von Tanja Busse. Ich durfte sie in einem Vortrag im Naturkundemuseum Karlsruhe erleben. Es war der letzte öffentliche, dann kam Corona. Tanja Busse beschreibt wie wir die Biodiversität noch retten können und vermittelt trotz der geschilderten Problematik immer noch Hoffnung.
Betrachten wir die folgenden Aufnahmen. Am Hornissen Kasten sitzt eine Hornissenschwebfliege. Sie wartet darauf ins Innere zu gelangen und im Nest ihre Eier abzulegen. Deren Larven ernähren sich von toten Individuen, bzw. von organischer Masse, die dort reichlich anfällt. Eine Art Abfallbeseitigung. Die Wissenschaft bezeichnet das als kommensale Lebensweise. Es ist eine Art Interaktion verschiedener Arten. Für die eine ist es positiv, für die andere neutral. Wer Hornissen schützt, schützt eben auch diese Schwebfliege.
Natur gibt es nicht einzeln. Natur gibt es immer als Ganzes. Vieles hängt voneinander ab. Je vielfältiger, desto größer die Widerstandskraft gegenüber schädlichen Einflüssen. Ein Auto kann ich ohne Türen noch fahren, aber nicht mehr ohne Räder.
Als Hornissen Berater ist man in erster Linie aufklärerisch unterwegs. Informieren und Ängste nehmen, das ist die erste Miete. Alles andere ergibt sich von selbst. In den allermeisten Fällen gibt es eine Entscheidung für das Leben. Wobei die Älteren oft mehr Verständnis zeigen, als Jüngere. Das hat mit den lila Kühen zu tun. Uns ist das grundsätzliche Wissen über das Leben und deren Zusammenhänge verloren gegangen. Wer kennt unsere Wiesenblumen, die heimischen Bäume, Sträucher, Vögel, usw.?
Dieses Jahr gibt es wenige Wespen und Hornissen. Ja, genau, wir haben das Insektensterben. Dafür haben wir dieses Jahr mehr Schnaken. Eine wertvolle Biomasse für unsere Vögel und Fledermäuse. Und in der Presse lesen wir ein Entschuldigungsschreiben der KABS (Kommunale Arbeitsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage eV), weil sie dieses Jahr mit der Bekämpfung nicht nach kommen. Ich gehöre zu der Generation, die noch die Zeiten vor der KABS erlebt hat. Da gab es mehr Schnaken, aber wir haben uns damit arrangiert. Wir sind früher heim und haben es uns zuhause mit Schnakengittern vor den Fenstern gemütlich gemacht. Früher gab es hier auch noch Rebhühner und Kiebitze. “Die Lebensqualität im Speckgürtel von Karlsruhe geht ohne KABS verloren”, sagt man. Es ist immer auch eine Frage des Standpunktes. Wie steht es um die Lebensqualität unserer heimischen Tierwelt? Es ist an der Zeit viele Dinge anders anzugehen. Lebensfreundlicher. Ganzheitlicher. Ist Anspruchsdenken noch zeitgemäß? Benötigen wir Verbote, wenn vieles auch mit Achtsamkeit und Bescheidenheit ginge?
Im August 2004 waren wir zu Besuch im Bauernhofmuseum Wolfegg in Bayern. Dort fand ich diese Lebensweisheit einer Bäuerin, die zusammen mit Mann und Schwester einen Hof bewirtschafteten. Sie ist für mich ein Vorbild. Genauso wie Barbara, Johanna und Tanja. Starke Frauen, die die Welt bewegen. Ebenso stark wie Doris, die alle meine Projekte unterstützt.
Ralf Schreck – dem irgenwas grünes lieber ist, als ein verschotterter Vorgarten
Update am 29.08.2021 – Am neuen Domizil herrscht reger Flugverkehr. Wir beobachten einfliegende Arbeiterinnen mit Nahrung für die Larven. Andere bringen neues Material für den Nestbau. Ja, das Nest wird vergrößert. Der Platz im Schwegler Hornissen Kasten wurde zu klein, der Neubau findet jetzt an der Decke im großen Kasten statt. Das Volk ist in den vergangenen 14 Tagen gut angewachsen. Die Umsiedlung war erfolgreich. Wie es weiter geht wird hier berichtet.