Kalter Krieg

Kalter Krieg

Während dieser Zeit bin ich aufgewachsen. Die Grenzen waren fest, einige unüberwindbar. Es gab das scheinbar ewige Spannungsfeld zwischen Ost und West. In der Tagespresse sind mir die Statistiken der strategischen Waffen noch in Erinnerung. Es gab ein ausgewogenes Aufrüsten zwischen Nato und Warschauer Pakt. Und wenn die USA in ihrer Wüste wieder eine Atombombe zündeten dauerte es nicht lange, bis es einen sowjetischen Atomtest gab.

Wir waren es gewohnt, dass es viele Manöver in der Umgebung gab. Reforger Übungen hießen die. Tieffliegende Starfighter konnte man an vielen Tagen am Himmel kreisen sehen. Wenn die Soldaten schließlich wieder den Hardtwald verlassen hatten, haben wir uns den liegen gelassenen schwarzen Natodraht geholt, weil der ideal für unser Himbeerspalier war. Diese ganze Situation war für uns berechenbar, weil es unvorstellbar war, dass es einen Atomkrieg gab. Als junger Mensch hat man Flausen im Kopf und denkt nicht an Morgen.  „Drüben“ hatten wir keine Verwandten, so wussten wir nicht, wie es dort war. In den Weihnachtsansprachen wurde regelmäßig der Bürger in der DDR gedacht.

1978 wurde ich Wehrpflichtiger und verbrachte 15 Monate im Jäger Bataillon 132 in der Ausbildungskompanie 12/5 in Schwarzenborn in der Nähe der Zonengrenze. Da war ich 19 Jahre alt und hatte plötzlich einen öffentlich nicht genannten Feind. „Feindliche Kräfte haben in der Nacht den Grenzübergang Herleshausen Richtung Westen überschritten“. Das war immer das Szenario, um in den Wald auszurücken und in Stellung zu gehen. Wir hatten als W15er auch politische Bildung. Im Rahmen einer solchen Veranstaltung fuhren wir in Zivil mit drei Bundeswehrbussen an die Zonengrenze nähe Hünfeld. Zuvor ging es in eine Bundesgrenzschutzkaserne, wo wir informiert und Verhaltensregeln auferlegt bekamen, damit es nicht zu einem Grenzkonflikt kam.

Es war ein kalter Tag im November als wir an den Grenzbefestigungen standen. Was für eine Landverschwendung dachte ich mir. Zäune, Minenfelder, Wachtürme, Selbstschussanlagen. „Feindliche Soldaten“ kamen mit einem Patroullienfahrzeug angefahren und beobachteten uns mit Ferngläsern. Die waren genauso jung wie wir. Diese ganze Situation war erschreckend beunruhigend und plötzlich verstand ich, weshalb unsere Politiker nicht nachließen die Wiedervereinigung anzustreben. Mein nächster Gedanke war, ich stehe auf der richtigen Seite. Das war eines der bedeutendsten Erlebnisse in meiner Bundeswehrzeit.

Ein weiteres Erlebnis als W15er hatte ich in einem Feuergefecht mit scharfer Munition. Natürlich war es eine Übung. Unser Trupp lag in Stellung und wir hatten Befehl den „Feind“ ab einer bestimmten Linie zu bekämpfen. Dann klappten die Pappkameraden hoch und wir feuerten. Es wurden immer mehr  und ich wusste nicht mehr, welchen ich zuerst erschießen sollte. Es war ein Höllenfeuer. Wie im Rausch jagte ich Feuerstoß für Feuerstoß in die Soldaten. Ich dachte an die jungen Grenzsoldaten an der Zonengrenze, dann war mein Magazin leer, die Übung zu Ende und die Bundeswehr war für mich gelaufen. Das war nicht mein Ding. Im Ernstfall hätte ich vorbei geschossen. Ich war 19 Jahre alt.

1989 fiel die Mauer und wir begrüßten die vielen Trabis auf der Autobahn mit Hupkonzerten. 2010 verbrachten wir unseren Urlaub in der Rhön und besuchten in Geisa den damaligen Beobachtungsposten Point Alpha. Heute ein Museum. Ich wollte meinen Söhnen zeigen, wie das damals mit der Teilung war. Es hat sich viel verändert. Die Menschen wollen Freiheit und Frieden. Die Zonengrenze wurde abgebaut, jetzt haben wir das Grüne Band mit eindrucksvoller Natur. Die Wehrpflicht wurde abgeschafft. Meine Söhne  hätte ich in keinem Fall zum „Bund“ gelassen. In meinem nächsten Leben würde ich es machen wie David: er hat ein freiwilliges ökologisches Jahr im Naturschutz absolviert. Darauf bin ich besonders stolz.

2016 verbrachten wir unseren Urlaub in Thüringen und besuchten unsere ehemaligen nicht öffentlich ausgesprochenen Feinde. Das sind Menschen wie du und ich. Wir wurden herzlich aufgenommen und eingeladen zu Würzfleisch und Sonderbier. Und ich war froh, dass ich als 19 jähriger die richtige Entscheidung traf.

Das ist erlebte Geschichte, die wir den Jüngeren nicht vorenthalten dürfen. In unserer Gemeinde nutzt man den Volkstrauertag, um der Öffentlichkeit Geschichte zu präsentieren. Gemeinde, Kirchen, Zeitzeugen, interessierte Bürger bringen sich ein, um ein geschichtliches Thema aufzubereiten und darzustellen. Wichtig ist auch, dass jedes Jahr Schülerinnen und Schüler mit einbezogen werden, die ihren Teil zur Präsentation einbringen.

Ralf Schreck – Wiedervereinigungsfreund

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