Wilder Wein und Weinschwärmer
Plötzlich war der Wein da. Mitgebracht von einem Vogel. Das unverdaute Samenkorn wurde im Magen und Darm des Vogels stratifiziert. Es wurde durch den Aufenthalt und der Passage im Vogel keimfähig gemacht. Die süße Traube durfte er behalten. Jetzt war sie da die Weinrebe, Vitis vinifera. An einem Platz, an dem wir sie nicht gebrauchen konnten. Die ersten Jahre ließ sie sich an Ort und Stelle im Vorbeigehen immer abschneiden. Eines Jahres ging das nicht mehr, denn die Triebe wurden immer holziger. Also gab ich nach und spannte ein starkes Seil vom Stamm der Rebe bis in die Krone unseres Amberbaumes. Diese Kletterhilfe wurde alsbald angenommen und der Wein konnte machen was seine Bestimmung war. Er wuchs zu seinem Platz an der Sonne. Der Gartenfrieden war wieder hergestellt.
Deilephila elpenor ist ein komplizierter Name aber das ist die wissenschaftliche Bezeichnung für den Mittleren Weinschwärmer. Er ist ein Nachtfalter und wir entdeckten ihn eines Morgens, wie er frisch geschlüpft an einem Halm saß, um seine Flügel mit Flüssigkeit zu füllen. Wer sich dabei zu schnell bewegt, hat verloren. So geschehen, als eine unserer Eidechsen einen „frischen“ Weinschwärmer entdeckte und ihn sich als Beute erkor. Die Echse war nur mittel groß aber recht halbstark. Es dauerte 15 Minuten, bis sie den Schwärmer nieder gerungen hatte und schließlich begann ihn aufzufressen. So ist das Leben im Naturgarten. Ein Geben und Nehmen.
Mitte August, beim Auslichten der Weinrebe, hatte ich plötzlich eine Raupe des Schwärmers in der Hand. Eine gewaltig fette Raupe. Vielleicht nicht Jedermanns Sache aber sehr eindrucksvoll. Die Raupen verpuppen sich in Bodennähe in einem Gespinst aus Pflanzenteilen. Der Falter schlüpft im nächsten Jahr. Die Literatur sagt, dass man die Raupen nur selten am Wein findet. Häufige Futterpflanzen sind Weidenröschen, Fuchsien und Blutweiderich. Letzteren haben wir auch. Dieses Jahr werden wir genau beobachten an welcher Pflanze die Tafel gedeckt ist.
Ich trinke gar keinen Wein. Die geschenkten Weinflaschen stapeln sich bei uns hinterm Sofa.
Ralf Schreck – Wein Freund