Ein ganz normaler Samstag

Für Julia

Und plötzlich hat sich der Frühling verabschiedet. Was wurden wir in den vergangenen Tagen verwöhnt mit den milden Temperaturen, die schon an die zwanzig Grad gingen. Überall begann es zu sprießen und zu blühen. Die Veränderung vom tristen grau ins blühende Grün konnten wir allerorts spüren und erleben. Der Duft des Frühlings, die Erneuerung der Natur, des prallen Lebens konnten wir überall sehen. Ralf, du bist ein Träumer. Mach den Fernseher an und schau dir an, was in der Ukraine passiert. Wie kannst du da vom prallen Leben schwärmen?

Unsere kleine Welt ist bunt. Frühllingsbunt.

Mir ist kalt. Diese Kälte spürte ich bereits an den warmen Tagen. Außen von der Sonne erwärmt, doch innen im Herzen kalt. Es ist diese Zerrissenheit, der Zwiespalt zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Es ist diese scheinbare Ohnmacht, die sich im Bewusstsein breit macht.

Während ich los radle, kommen mir die ersten Menschen aus der Ukraine entgegen. Bepackt mit Taschen voller gespendeter Sachen, die man zum Überleben in der Fremde braucht. Ihr Schritt ist zielstrebig, die Gesichter sind ernst. Ich schäme mich, weil mir es mir gut geht, weil es mir besser geht, als diesen Menschen.

Da wo diese Menschen gerade waren gehe ich jetzt auch hin. Ich bin Bote und überbringe einen nicht unerheblichen Geldbetrag zu den Räumlichkeiten der Nachbarschaftshilfe. Diesen haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines örtlichen Unternehmens für die Ukraine Hilfe der Nachbarschaftshilfe gesammelt. Beim ehemaligen Rathaus in Leopoldshafen hat unser Rotes Kreuz ein Zelt aufgestellt. Darin warten die Menschen auf Einlass. Es sind Frauen, Mädchen, Teenager, Kinder. Es sind Menschen wie du und ich. Menschen in Not, denen hier geholfen wird.

Es werden Nummern verteilt, sodass ein geordnetes Abwickeln der Dinge vonstattengehen kann. Eine Übersetzerin bittet die Hilfe suchenden ein. Kleidung, Lebensmittel und sonstiger Bedarf wird an die gegeben, die es benötigen. Ich trage mein Anliegen vor und dann stehe ich vor Laetitia. „Die Frau“ der Nachbarschaftshilfe. Sie kann es kaum fassen, was ich vorbeibringe und bedankt sich dafür mit ganzem Herzen. Laetitia ist ein Phaenomen. Was sie auf die Beine gestellt hat in den beiden vergangenen Jahren ist mehr als großartig.

Die Hilfsbereitschaft in unserem Ort ist groß. Gerade kommt ein älterer Herr vorbei, behangen mit Tüten voller Sachen. Auch er wird dankbar begrüßt. Die Kammern sind voll mit Lebensmitteln aller Art und ich bekomme ein Gefühl dafür, dass diese Hilfe ankommt. Auch wenn wenig gesprochen wird, so spüre ich eine Woge der Dankbarkeit und Wertschätzung aller Anwesenden. Einer der Räume erstrahlt in einem warmen Rot. Das ist das Leuchten der Uniformen der Rotkreuzler, die sich zum Aufwärmen dort versammelt haben. Wenige Blicke genügen. Sie sagen, hier ist alles gut.

Trotz des Gefühles ein gutes Werk getan zu haben, werde ich meine Betroffenheit nicht los. Die ukrainischen Jungs und Mädels, die ich sehe, könnten meine Kinder sein. Wenn ich abends auf unserem Balkon stehe und den Abendhimmel hinter den Hochhäusern der Mannheimer Straße betrachte, kommen mir die Bilder der zerbombten und ausgebrannten Häuser in den Sinn. Worin liegt der Sinn? So unnötig. Meine Instagram Freundin Julia, die ukrainische Wurzeln hat, postet verzweifelte Bilder ihrer Heimat. Stop war now.

Wir hören die Nationalhymne der Ukraine. Der Text ist die Übersetzung einer Strophe daraus. Gemeinsamkeiten lassen sich bei vielen Menschen entdecken.

 

Es ist noch früh und ich radle zum nächsten Ziel. Heute bin ich Erntehelfer bei der SoLaWi. Wir haben Woche 13 und damit beginnt das neue Erntejahr. Es sind auch andere „Neue“ dabei und wir beginnen mit der Ernte. In zwei Folientunnel werden Lauchzwiebeln und Radieschen geerntet. Wir besprechen, wie wir vorgehen. Die „Neuen“ fragen, wie man wohl am besten erntet. Doch es ist ganz einfach. Während sich die Lauchzwiebeln gegen das Ernten wehren und deshalb abgeschnitten werden, lassen sich die Radieschen einfach aus dem Boden ziehen. Nach einer Stunde waren etliche Kisten befüllt und es ging ans Auszählen und Abwiegen. Der Ernteanteil an diesem Tag betrug 20 Radieschen, 5 große und 4 kleine Lauchzwiebeln. Klingt irgendwie bescheiden, aber es war eine Aktion voller Genugtuung und Sinnhaftigkeit. Im Laufe des Jahres steigern sich die Erntemengen. Von den 20 Radieschen sind auch schon 5 einem Vesper zugeführt worden.

Was bei der SoLaWi jedes Mal beeindruckend ist, ist das Erleben dort. Die Motivation, die besondere Stimmung in den Arbeitseinsätzen. Ja, es ist das Erleben einer besonderen Gemeinschaft.

Zur selben Zeit waren auf dem Gelände der Gärtnerei Oesterle die Europa Mini Gärtner zugange. Thema waren Frühlingsblumen. Tatjana und Rolf waren zeitig vor Ort und organisierten mit Herrn Oesterle diese Aktion. Nachdem die einzelnen Frühlingsblumen vorgestellt wurden, durften alle Kinder Schalen bepflanzen. Welche Pracht die kleinen Kinderhände schufen. Eine Schale schöner als die andere. Das sind wohl die schönsten Osterschalen in Eggenstein!

 

 

 

 

Die Mini Gärtner waren vor kurzem am Baggersee Leopoldshafen aktiv. Dort pflanzten sie zahlreiche Sträucher im Uferbereich der Schutzzone des Anglervereines. Unter Anleitung unseres Gemeindeförsters wurde auch diese Aktion erfolgreich abgeschlossen. Das besondere an diesem Vormittag waren die Gesten von Friedhelm. Er hockte sich einfach hin und im Nu scharten sich die Kids um ihn herum. Sich auf sein Gegenüber einlassen, auf Augenhöhe Präsenz zeigen. Das war die Botschaft des Tages.

 

 

 

Es überkommt mich ein Gefühl des Wohlwollens, wenn ich betrachte, welche Gemeinschaftsaktionen wir in unserer Doppelgemeinde auf die Beine stellen. Anderswo ist es ähnlich. Wir gestalten, bauen auf, wir üben Teilhabe aus. Wir nehmen am Leben teil. Dies alles können wir jedoch nur tun, weil wir nicht von Vertreibung, Flucht, Not und Elend betroffen sind. Und doch werden wir mit diesem Unrecht konfrontiert. Einfach zur Tagesordnung überzugehen kann ich nicht. Das entspricht nicht meinen Wertvorstellungen.

 

Ein ganz normaler Samstag?

 

“Von guten Mächten” ist ein Gedicht von Dietrich Bonhoeffer. Die Motive zur Umrahmung stammen vom Hardtwald, von unseren Friedhöfen, vom Bürgerpark und vom Baggersee Leopoldshafen. Dieses Gedicht belässt uns die Hoffnung. Hoffnung ist wichtig. Ohne sie könnte ich nicht leben. Könnt ihr das?

Ja, ich bin ein Träumer. Ich kann jedoch unterscheiden zwischen falsch und richtig. Zwischen Recht und Unrecht. Und Unrecht bleibt Unrecht. Und Mörder bleiben Mörder.

Stop war now!

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